Ich sitze im Zug

Ich war auf dem Weg zum ersten Streik der fridaysforfuture-Bewegung in Ludwigshafen. Dieses Mal hatte ich mir ein Schild gebastelt, das mich begleitete. Am Abend danach entstand dieser Text:

Ich sitze im Zug und ich lese ein Buch. Dort steht, dass die Menschheit dreißig Gewichtsprozent der Landwirbeltiere ausmacht. Weitere 67 Prozent sind Tiere, vom Menschen domestiziert. Ich rechne. Für wilde Tiere bleiben gerade mal drei Prozent übrig. Die Zahl, sie schockiert mich. Ich dachte nicht, dass es so wenig ist, was wir der Natur übriggelassen haben. Wir Menschen haben die Erde unter uns aufgeteilt. Mein Garten, dein Acker, unser Dorf, deine Stadt… wir behandeln die Erde wie unser Eigentum. Wir nehmen uns, was wir wollen und was wir nicht mehr brauchen, werfen wir achtlos weg. Aber gehört die Erde nicht allen Lebewesen gleichermaßen? Was berechtigt uns Menschen dazu, uns als Herren der Erde aufzuspielen?

Ich lese weiter. Es gibt den Welterschöpfungstag. Das ist der Tag, an dem die Menschheit die Ressourcen aufgebraucht hat, die die Erde in einem Jahr erneuern kann. Er war 1971 am 21. Dezember, im Jahr 2000 am 1. November und 2018 hatten wir bereits am 1. August alle Bäume, Wasser und Fische aufgebraucht, die uns für das ganze Jahr zur Verfügung stehen würden. Wir Deutsche konsumieren sogar so viel, dass wir drei Erden bräuchten. Wir zerstören immer schneller unsere Lebensgrundlage und die aller anderen Lebewesen.

Ich sitze im Zug und ich sehe all die Leute. Sehe Junge mit Kopfhörern, sehe Studenten mit Laptops, höre türkische Jungs mit ihrem eigenen Slang, höre Bankangestellte über Finanzen reden, beobachte die Mutter mit ihrem Kind und die alte Dame, die in der Zeitschrift blättert. Ich sehe sie und ich weiß, keiner von ihnen sorgt sich um Umwelt und Klima.

Ich sitze im Zug und ich halte mein Schild, ich verstecke es nicht. Ich sehe den Teenager, der mir den Daumen nach oben zeigt, den Studenten, der vom Rechner aufschaut und mir ein Lächeln schenkt und den Herrn im Anzug, der freundlich nickt. Ich höre das Kind, das mein Schild liest und dann lacht und die Mutter, die einfach nur danke sagt. Ich sprech mit der älteren Dame neben mir, sie fragt mich, was ich denn da mach. Ich erklär’s ihr und sie sagt: „Das wird aber jetzt auch endlich Zeit.“ … und sie wünscht mir einen guten Tag.

Ich steig aus aus dem Zug und ich lauf einer Gruppe von Mädchen mit Kopftuch hinterher.
Sie tragen ihr Schild aufrecht und stolz. Es ist Freitag und wir machen unserer gemeinsamen Sorge Luft. Wir brüllen’s heraus und wir fühlen uns gut. Wir sind nicht allein, wir sind viele. Wir sind Schüler und Studenten, wir sind Mütter und Väter und die Großeltern, die sind auch mit dabei. Die Stimmung ist froh und wir lachen uns an. Wir fühlen, dass wir etwas verändern können. Wir fordern, dass die Politik die Zukunft ihrer Bürger schützt, dass sie aufhört Dinge zu machen, die nur den Reichen der Welt nützt. Wir haben verstanden, dass es so nicht weitergeht und wir wollen einen neuen Weg gehen. Gemeinsam, zusammen schaffen wir es!

Ich sitze im Zug und ich rede mit Kollegen. „Maria, hör auf, du sorgst dich zu sehr. Mach dir doch einfach ein schönes Leben.“ „Wie soll das gehn? Wie soll ich mir ein schönes Leben machen, wenn ich weiß, dass alle nachfolgenden Generationen unter meinem schönen Leben leiden werden?“

Heute ist Donnerstag und morgen gehe ich mit meinem Schild…

Ein Arbeitskollege fragt mich später auf dem Flur: „Wo ist morgen die Demo und brauch ich ein Schild…?“

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