Warum Lützerath nicht abgebaggert werden darf

Was ist Lützerath?
Lützerath ist ein Weiler der Stadt Erkelenz in Nordrhein-Westfalen.
Der Energieversorgungskonzern RWE will Lützerath abreißen, um den Tagebau Garzweiler auszudehnen, für den seit 1963 bereits 14 Ortschaften zerstört wurden. Die Umsiedlung von Lützerath begann 2006 und wurde im Oktober 2022 endgültig abgeschlossen.
Früher haben sich die Grünen für den Erhalt von Lützerath ausgesprochen. Aber am 4. Oktober 2022 gaben RWE, Mona Neubaur (Wirtschaftsministerin in NRW) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eine Einigung bekannt, nach der Lützerath abgebaggert werden soll. Dafür sollen die übrigen, noch nicht geräumten Dörfer erhalten und der Ausstieg aus der Braunkohleverstromung auf 2030 vorgezogen werden.

Welche Bedeutung hat es, wenn Lützerath für die Gewinnung von Braunkohle abgebaggert wird?
Der Kraftwerksbetreiber RWE argumentiert, dass die Lützerather Kohle für eine sichere Stromversorgung in Deutschland benötigt wird. RWE will deshalb bis zum Jahr 2030 im Tagebau Garzweiler II weitere 280 Millionen Tonnen Braunkohle abbauen. Die Bundesregierung hat sich dieser Sichtweise angeschlossen und die „energiepolitische und energiewirtschaftliche Notwendigkeit“ der Tagebau-Erweiterung im „Gesetz zur Beschleunigung des Braunkohleausstiegs im Rheinischen Revier“ (BKohleRhABG) vom 19. Dezember 2022 festgeschrieben. Aber damit ignorieren RWE, Bundes- und Landesregierung die Klimaziele, die sich aus dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 ergeben: Denn wenn wir eine 50%ige Chance bewahren wollen, die Erwärmung der Atmosphäre auf die vertraglich angestrebten 1,5° zu begrenzen, dürfen in den Tagebaugebieten Inden, Hambach und Garzweiler insgesamt nur noch 235 Mio. Tonnen Braunkohle gefördert werden. Dieses Budget wurde wissenschaftlich berechnet (siehe unten). Auf Garzweiler entfällt dabei die Menge von 70 Mio. Tonnen. Da dort auch ohne das Abbaggern von Lützerath noch 100 Mio. Tonnen Braunkohle gefördert werden könnten, gibt es in Wirklichkeit also keine „energiepolitische und energiewirtschaftliche Notwendigkeit“ und somit auch keinerlei Rechtfertigung dafür, Lützerath zu zerstören!
Und mehr als die zulässigen 70 Mio. Tonnen Kohle wird auch nicht benötigt, wenn wir die erneuerbaren Energien konsequent ausbauen.

Muss Lützerath wegen der Energiekrise infolge des Ukraine-Krieges nun trotzdem abgebaggert werden?
Nein! Bereits im April 2022 – kurz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine – hatte das Deutsche Insti-tut für Wirtschaftsforschung (DIW) untersucht, wie sich ein kompletter Einfuhrstopp für Kohle und Gas aus Russland auf die Stromerzeugung in Deutschland auswirken würde. Trotz einer kurzfristig höheren Auslastung der Braunkohlekraftwerke kommt die Untersuchung zu dem Schluss: „Die Abbaggerung weiterer Dörfer wegen darunterliegender Braunkohlevorräte ist für den Braunkohlestrombedarf jedoch nicht notwendig. Dies gilt auch für die Orte Lützerath im Rheinland und Mühlrose in der Lausitz.“

Was hat es mit dem Kohle-Deal zwischen RWE und der Regierung auf sich?
Die grünen Minister:innen Neubaur und Habeck behaupten, die Vereinbarung mit RWE sei ein Gewinn für den Klimaschutz, weil damit die Braunkohle-Verstromung in Nordrhein-Westfalen vorzeitig im Jahr 2030 beendet wird und nicht erst 2038. Sie führen an, dadurch würden 280 Millionen Tonnen Braunkohle in der Erde bleiben – genauso viel, wie jetzt noch abgebaggert werden soll. Aber sie verschweigen, dass RWE gleichzeitig die Genehmigung bekommen hat, die Braunkohle-Kraftwerksblöcke Neurath D und E nun bis 2024 laufen zu lassen. Sie verschweigen auch, dass ihre Berechnungen zum Kohlebedarf nicht aus neutraler Quelle kommen, sondern vom Stromerzeuger RWE, der mit jedem weiteren Kohlejahr Milliardengewinne auf Kosten des Klimas einfährt. Das ist so, als würde die Regierung die amtlichen Empfehlungen zum Schutz vor Zigarettenrauch unbesehen von der Tabakindustrie übernehmen. Und Neubaur und Habeck verschweigen, dass der Kohle-Deal mit RWE den Bruch des völkerrechtlich verbindlichen Klimaabkommens von Paris bedeutet!

Und was sagt die Wissenschaft zum Kohle-Deal mit RWE?
Das unabhängige AURORA Energy Research Institut hat dagegen belegt, dass die Stromerzeugung mit Braunkohle bereits 2030 ein Verlustgeschäft sein wird. RWE müsste dann für die Freisetzung von CO2 (Emissions¬zertifikate) einen viel höheren Preis zahlen, denn die staatliche Subventionierung der Kohlever-brennung nimmt zum Glück ab – wenn auch immer noch viel zu langsam. Wer aber – außer den Minis-ter:innen Neubaur und Habeck – wird wohl glauben, dass RWE unter diesen Umständen weiter Kohle ver-stromen und dabei große Verluste einfahren wird? Im Klartext bedeutet das: der “vorgezogene Kohlaus-stieg” in NRW spart gar kein CO2 ein, weil sich Kohleverstromung 2030 ohnehin nicht mehr rechnet. Aber da RWE im Gegenzug zwei große Braunkohle-Kraftwerke 2 Jahre länger laufen lassen darf, führt der Kohle-Deal sogar zu einem erhöhten CO2-Ausstoß. AURORA Energy Research kommt auf eine zusätzliche Menge von bis zu 61 Millionen Tonnen!

Unter dem Strich halten wir fest:

  • Der vorgezogene Braunkohleausstieg in NRW bringt keine Vermeidung, sondern eine Erhöhung der CO2-Emissionen
  • Das Abbaggern von Lützerath ist nicht zu rechtfertigen, weil
    – die Kohle unter Lützerath in keinem der berechneten Szenarien benötigt wird
    – Deutschland mit der Förderung und Verbrennung der Kohle unter Lützerath seine Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen – ohne Not – schwerwiegend verletzen würde

Ist es technisch überhaupt noch möglich, Lützerath zu erhalten?
Völlig losgelöst vom tatsächlichen Kohlebedarf gibt es für den Betreiber RWE noch andere Gründe, warum er Lützerath zerstören und abbaggern will. So braucht der Konzern große Mengen an Erd- und Gesteinsmaterial, um die steilen Böschungen des Tagebaus zu stabilisieren. Denn die Abbruchkanten sind nicht stabil und laufen nach Ende der Arbeiten im Tagebau Gefahr, zusammenzubrechen. Mithilfe der abgebauten Erde und des Gesteins könnte RWE die Böschungen abflachen, das wäre die kostengünstigste Variante. Viel teurer wäre es dagegen das benötigte Material aus anderen Gebieten zu importieren. Aber: Kann das als Grund herhalten, den Ort und das umliegende Ackerland zu zerstören? Wir meinen: Nein! Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat in seiner Studie von 2021 bereits dargestellt, wie der Tagebau unter Erhaltung von Lützerath stabilisiert werden kann. Wenn RWE diese Hinweise wider besseres Wissen ignoriert hat, muss der Konzern auch für eventuelle Mehrkosten selbst aufkommen.

Kämpft die Klimabewegung nur wegen des „Symbolwertes“ um Lützerath?
Immer wieder ist zu hören und zu lesen, dass Lützerath für die Klimabewegung zu einem Symbol geworden ist. Aber ist es nicht unsinnig, am Symbol Lützerath festzuhalten, wenn die Politik längst einen Kompromiss gefunden hat und sogar fünf Dörfer vor dem Abbaggern gerettet hat? Wir meinen: Nein! Denn erstens ist der Kohle-Deal so faul, dass er die Bezeichnung Kompromiss nicht verdient hat (siehe oben). Und zweitens: es geht nicht um das Symbol, sondern ganz konkret darum, dass die Verbrennung der Lützerather Kohle den Bruch des Pariser Klimavertrags bedeuten würde. Es stimmt also, wenn auf den Transparenten in Lützerath zu lesen ist „Hier verläuft die 1,5°-Grenze“.

Wer entscheidet eigentlich, wieviel Braunkohle aus Garzweiler noch verbrannt werden darf?
Bei der Frage, wir schnell wir unsere CO2-Emissionen senken müssen, orientieren sich viele Politiker:innen an einer Jahreszahl: „Im Jahr 2045 soll Deutschland klimaneutral sein“. In Wirklichkeit kommt es aber nicht auf eine Jahreszahl an, sondern darauf, wie viel CO2 noch in die Atmosphäre gelangen darf („Budgetansatz“). Der Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC) hat errechnet, dass – gerechnet vom 1.1.2018 – noch maximal 580 Gigatonnen CO2 emittiert werden dürfen, um uns eine 50%ige Chance zu bewahren, dass die Erwärmung der Atmosphäre bei maximal 1.5° bleibt.
Der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen hat aus dieser Zahl abgleitet, dass Deutschland ein Budget von 4,2 Gigatonnen CO2-Emission zusteht, wenn wir unseren (einigermaßen fairen) Anteil an der Einsparung leisten wollen. (Eine Gigatonne entspricht 1 Milliarde Tonnen.) Dieses Gesamtbudget verteilen die Experten nach anerkannten Kriterien auf die verschiedenen fossilen Energieträger und Standorte. Auf dieser Basis hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) 2021 zum Beispiel berechnet, dass der gesamte Rheinische Braunkohletagebau – gerechnet ab Januar 2021 – nicht mehr als die Menge von 235 Millionen Tonnen Braunkohle fördern darf.

Wir fordern:

  • ParentsForFuture Karlsruhe schließt sich der Forderung vieler Organisationen und Persönlichkeiten nach einem sofortigen Räumungsstopp für Lützerath an.
  • Weiter fordern wir, dass sich RWE, die Bundesregierung und die Landesregierung von NRW klar zu den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens bekennen und als Konsequenz daraus den Verzicht auf das Abbaggern von Lützerath verbindlich erklären.
  • Das „Gesetz zur Beschleunigung des Braunkohleausstiegs im Rheinischen Revier“ muss entsprechend geändert werden.
  • Die aus Lützerath vertriebenen Bewohner müssen angemessen entschädigt werden